Angeborene Störungen im Lipoproteinstoffwechsel
Die angeborenen Störungen des Lipoproteinstoffwechsels liefern direkte Beweise für die ursächliche Beteiligung erhöhter Cholesterinkonzentrationen an der Entstehung der Atherosklerose und deren Folgen. Ihre Erforschung hat darüber hinaus wichtige Einsichten in die Biochemie des Lipoproteinstoffwechsels erbracht.
In der Praxis ist es wichtig, die primären, also genetisch bedingten Fettstoffwechselstörungen von der heterogenen Gruppe von Störungen zu trennen. Bei letzteren kommt es durch Wechselwirkung wenig penetranter genetischer Prädispositionen mit Lebensstilfaktoren oder als Folge definierter Grunderkrankungen (sekundäre Hyperlipoproteinämien) zu Abweichungen im Fettstoffwechsel.
Die Fortschritte in der molekularen Diagnostik haben die Erkennung primärer Hyperlipoproteinämien (HLP) wesentlich erleichtert. Durch konsequente Behandlung ist es meist möglich, die früher schicksalhafte Bedrohung der betroffenen Patienten durch Herzinfarkte abzuwenden und die Prognose zu normalisieren. Ausgeprägte, primäre HLP erfordern im Einzelfall allerdings spezielle Führung der Patienten und zumeist die gleichzeitige Anwendung mehrerer Behandlungsprinzipien.
Viele Störungen des Fettstoffwechsels können auf Varianten von Rezeptoren, Apolipoproteinen, Enzymen, Transferfaktoren und zellulären Cholesterintransportern zurückgeführt werden. Klinisch besonders bedeutsam sind die autosomal dominante familiäre Hypercholesterinämie (FH) und die familiäre kombinierte Hyperlipoproteinämie (FKHL).
Die FH hat eine Prävalenz von 1:250. Sie ist meist auf Mutationen des LDL-Rezeptors, seltener auf Mutationen der proprotein convertase subtilisin/kexin type 9 (PCSK9), des signal transducing adaptor family member 1 (STAP1) oder des Apolipoprotein (Apo) B zurückzuführen. Sie führt zu frühzeitiger Atherosklerose. Eine sichere Diagnose kann sicher nur mit molekulargenetischen Verfahren gestellt werden. Der Nachweis von Mutationen an LDLR, APO B oder PCSK9 ist unabhängig vom LDL-C ein Indikator für extrem hohes kardiovaskuläres Risiko. Frühe Diagnose und wirksame Behandlungsansätze machen es heute möglich, die Prognose der Betroffenen deutlich zu verbessern.
Die FKHL ist ebenfalls recht häufig (1:100) und kommt bei bis zu 10 Prozent der Patienten mit frühem Myokardinfarkt vor. Sie entsteht polygen durch variable Kombinationen von häufigen genetischen Varianten mit Wirkungen auf Triglyzeride und LDL-Cholesterin. Weitere wichtige monogene Hyperlipoproteinämien (HLP) betreffen den Abbau der Chylomikronen (familiäre Chylomikronämie) und den Abbau der remnants triglyzeridreicher Lipoproteine (Typ III Hyperlipoproteinämie). Im Stoffwechsel der HDL sind viele erbliche Störungen bekannt, die deren Biosynthese, Reifung und Umbau beinträchtigen. Die atherogene Wirkung dieser Defekte ist unterschiedlich.
Diagnostik
Die Basisdiagnostik besteht aus der Messung von:
- Cholesterin
- Triglyzeriden
- HDL-Cholesterin
- LDL-Cholesterin (Achtung: mögliche Verfälschung durch hohe Triglyzeride >400 mg/dl (4.6 mmol/l))
- Lipoprotein (a) oder Apo B (in Einzelfällen, zum Beispiel bei familiärer Vorbelastung)
Indikation
Die Basisdiagnostik ist bei folgenden Personengruppen indiziert:
- gesunden Frauen über 50 Jahren
- Männern über 40 Jahren
- Kindern, wenn in der Familie vorzeitige Atherosklerose oder Fettstoffwechselstörungen vorkommen
- Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder Erkrankungen (Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz)
Material
Für die Basisdiagnostik wird Serum benötigt. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserem Leistungsverzeichnis.
Diagnostisches Vorgehen
Isolierte Störungen des Fettstoffwechsels machen sich kaum durch klinische Symptome bemerkbar. Für viele Patienten ist der Herzinfarkt die erste klinische Manifestation. Diagnostik und Differentialdiagnostik der HLP erfolgen daher vor allem mit Hilfe von Laboruntersuchungen.
Die Basisdiagnostik besteht aus der Messung von:
- Cholesterin
- Triglyzeriden
- HDL-Cholesterin
- LDL-Cholesterin (Achtung: mögliche Verfälschung durch hohe Triglyzeride >400 mg/dl (4.6 mmol/l))
- Lipoprotein (a) oder Apo B (in Einzelfällen, zum Beispiel bei familiärer Vorbelastung)
Für die therapeutische Entscheidung, die Führung des Patienten und mit Blick auf die mögliche Identifizierung von betroffenen Angehörigen ist es nützlich, primäre und sekundäre HLP zu unterscheiden.
Sekundäre HLP sind weit häufiger als primäre HLP. Sie treten auf als Folge von Adipositas, Fehlernährung, Diabetes mellitus, exzessivem Alkoholkonsum, nephrotischem Syndrom, chronischem Nierenversagen, Hypothyreose und unter der Einnahme einer Vielzahl von Medikamenten (orale Kontrazeptiva, Betablocker, Diuretika, Glukokortikoide, Retinoide).
Typische Befunde
Grunderkrankung | LDL | Trigylzeride | HDL |
---|---|---|---|
Endokrinologie und Stoffwechsel | |||
Hypothyreose | ↑↑ | ↔, ↑ | ↔ |
Diabetes mellitus | ↔ | ↑↑ | ↓ |
Akromegalie | ↔ | ↑ | ↑ |
Wachstumshormonmangel | ↑ | ↔ | ↓ |
Hypercortisolismus | ↑ | ↑ | ↔ |
Adipositas | ↔ | ↑ | ↓ |
Nierenerkrankungen | |||
Nephrotisches Syndrom | ↑↑ | ↑ | ↔ |
Niereninsuffizienz | ↔, ↑ | ↑↑ | ↔, ↓ |
Nierentransplantation | ↑↑ | ↑ | ↔ |
Lebererkrankungen | |||
Cholestase | ↑ | ↑ | ↓ |
Hepatitis | ↔, ↑ | ↑ | ↓ |
Leberzirrhose | ↓ | ↓ | ↓ |
sonstige Erkrankungen | |||
Alkoholismus | ↔ | ↑ | ↑ |
Anorexie | ↑ | ↔ | ↔, ↓ |
↔ normal, ↑ erhöht, ↓ vermindert |
Weiterführende Untersuchungen zum Nachweis oder Ausschluss einer sekundären HLP
Auszuschließende Grunderkrankung | Geeignete Laboruntersuchung |
---|---|
Hypothyreose | TSH (ggf. zusätzlich T3, T4) |
Diabetes mellitus | Glukose (nüchtern, Tagesprofil, oraler Glukosetoleranztest, evtl. HbA1c) |
Nephrotisches Syndrom | Eiweiß im Urin, Eiweiß im Serum, Elektrophorese Niereninsuffizienz Kreatinin, Harnstoff |
Cholestase | γ-GT, Bilirubin, alkalische Phosphatase |
Hepatitis | ALAT, ASAT (evtl. Hepatitis-Serologie) |
Leberzirrhose | ALAT, ASAT, Pseudocholinesterase, Eiweiß im Serum, Elektrophorese, Thromboplastinzeit nach Quick |
Chron. Alkoholabusus | Anamnese, γ-GT, kohlenhydratdefizientes Transferrin |
Anorexie | Anamnese, Gewicht |
Von besonderer Bedeutung ist die Suche nach einem Diabetes mellitus, denn fast jeder zweite Patient mit manifestem Typ 2-Diabetes mellitus ist nicht als solcher erkannt.
An primäre und damit angeborene Störungen des Fettstoffwechsels ist vor allem dann zu denken, wenn es sich um junge Patienten handelt, die Konzentrationen des LDL-C über 190 mg/dl (4.9 mmol/l) und/oder der Triglyzeride über 200 mg/dl (2.3 mmol/l) liegen, eine sekundäre HLP ausgeschlossen werden kann oder wenn sich bei den Angehörigen des Patienten ebenfalls erhöhte Lipidkonzentrationen oder frühzeitige Herzinfarkte finden. Für eine primäre HLP sprechen auch das Auftreten charakteristischer Hauterscheinungen wie Xanthelasmen (wenig spezifisch), Arcus lipoides, Xanthome und abdominelle Beschwerden (Pankreasaffektionen bei Chylomikronämie).
Befundinterpretation
Für die therapeutische Entscheidung, die Führung des Patienten und mit Blick auf die mögliche Identifizierung von betroffenen Angehörigen ist es nützlich, primäre und sekundäre HLP zu unterscheiden.
Genetische Diagnostik bei Verdacht auf angeborene Fettstoffwechselstörungen
Aufgelistet finden Sie eine Übersicht verschiedener Erkrankungen, der beteiligten Gene und ihrer Häufigkeit. Weitere Informationen hierzu entnehmen Sie bitte unserer Broschüre.
Erkrankung | Gene | Häufigkeit |
---|---|---|
Autosomal dominante familiäre Hypercholesterinämie (FH) | LDLR, APOB, PCSK9, STAP1 | 1:250 |
Autosomal rezessive Hypercholesterinämie (ARH) | LDLRAP1 | selten |
Polygene Hypercholesterinämie | 12 Polymorphismen in Genen mit Effekt auf LDL-C | etwa 1:150 |
Familiäre kombinierte HLP | 12 Polymorphismen in den Genen mit Effekt auf LDL-C, 11 Polymorphismen in Genen mit Effekt auf Triglyzeride | etwa 1:100 |
Abetalipoproteinämie | MTP | selten |
Hypobetalipoproteinämie, dominant | PCSK9, APOE, ANGPTL3, APOB, NPC1L1 | selten |
Hypobetalipoproteinämie, rezessiv | SAR1B | selten |
Familiäre Phytosterolämie | ABCG5, ABCG8, NPC1L1 | selten |
Cerebrotendinöse Xanthomatose | CYP27A | selten |
Desmosterolose | DHCR224 | selten |
Cholesterinester-Speicherkrankheit, Wolmansche Erkrankung | LAL | selten |
Erhöhtes Lipoprotein (a) (> 20 mg/dl) | LPA | 1:5 bis 1:10 |
Erkrankung | Gene | Häufigkeit |
---|---|---|
Typ III Hyperlipoproteinämie | APOE, 11 Polymorphismen in Genen mit Effekt auf Triglyzeride | 1:2000 |
Mangel an hepatischer Lipase | LIPC, 11 Polymorphismen in Genen mit Effekt auf Triglyzeride | selten |
Erkrankung | Gene | Häufigkeit |
---|---|---|
Familiäre Chylomikronämie | LPL, APOC2, APOA5, LMF1, GPIHBP1 | 1:1.000.000 |
Polygene Hypertriglyzeridämie | 11 Polymorphismen in Genen mit Effekt auf Triglyzeride | 1:50 |
Lipodystrophien | 21 Kandidatengene | selten |
Erkrankung | Gene | Häufigkeit |
---|---|---|
Apo A1-Mangel | APOA1 | selten |
Apolipoprotein A1-assoziierte Amyloidose | APOA1 | selten |
Tangier disease | ABCA1 | selten |
LCAT-Mangel | LCAT | selten |
CETP-Mangel | CETP | selten |
Polygene Hypoalphalipoproteinämie | 21 Kandidatengene | |
Niemann-Picksche Erkrankung (Typen A und B) | SMPD1 | selten |
Niemann-Picksche Erkrankung (Typ C) | NPC1, NPC2 | selten |
Erkrankung | Gene |
---|---|
Genetisches Herzinfarktrisiko | 11 Polymorphismen in Risikogenen |
Statin-assoziierte Muskelsymptome (SAMS), Myopathien | 14 Kandidatengene |
Weitere Informationen zu SAMS finden Sie hier:
Unsere Empfehlung
Seit vielen Jahren erfolgte die molekulargenetische Diagnostik von Fettstoffwechselstörungen mit der Sequenzierungsmethode nach Sanger. Die Kapazität dieser Methode ist auch mit modernen Geräten begrenzt.
Sequenzierungsmethoden der zweiten Generation (second generation sequencing, next generation sequencing) erlauben es, ohne wesentliche Mehrkosten, simultan die für Fettstoffwechselstörungen relevanten Gene zu sequenzieren. Nicht selten bestimmen Defektvarianten in verschiedenen Genen in Kombination die Ausprägung des klinischen Phänotyps. Genetische Polymorphismen modulieren den Effekt schwerwiegender Mutationen. Andererseits verursachen Mutationen an denselben Genen unterschiedliche Phänotypen. Die simultane Analyse aller klinisch relevanten Gene liefert hier breitere Informationen.
Aus diesem Grund empfehlen wir, bei Verdacht auf genetische Fettstoffwechselstörungen die Analyse der Genorte und Polymorphismen.